Der Bürgermeisterin von Lampedusa spricht mit EPTV über ihre Erschütterung angesichts der jüngsten Flüchtlingstragödien und drängt auf eine Aufarbeitung der EU-Einwanderungsgesetze.

Im Interview: "Europa macht aus Lampedusa ein Massengrab" – Nicolini

https://api.multimedia.europarl.europa.eu/documents/20125/16418466/n003-0265-de.srt

Giusi Nicolini,  Sie sind Bürgermeisterin von Lampedusa.

Die 6.000 Einwohner zählende Insel  ist weltbekannt,

aber leider nicht  aufgrund ihrer Schönheit,

sondern wegen der vielen Särge -  Sie haben eben davon gesprochen.

Was fordern Sie im Rahmen  Ihres Besuchs im EP?

Ich bin hier,  um im Namen der Insel Lampedusa

und im Namen der Menschen zu sprechen,  die in Europa Asyl suchen,

und die gezwungen sind,  dabei Schiffbruch und Tod zu riskieren.

Lampedusa steht  für eine unvorstellbare Tragödie,

aber auch für einen Triumph, da viele  Menschenleben gerettet werden konnten.

Vor einigen Monaten haben Sie in  einem offenen Brief an die EU geschrieben:

"Wenn Sie uns uns selbst überlassen  und dies die Toten Lampedusas sind,

dann will ich ein Beileidstelegramm  für jeden Einzelnen."

Ist die EU gleichgültig in Bezug  auf die Einwanderungs- und Asylsituation,

oder muss man das  auch Italien vorwerfen?

Die Todesopfer lasten auf dem  Gewissen aller EU-Mitgliedstaaten,

denn die EU hat ihre Grenzen geschlossen,

ohne zwischen Wirtschaftsmigration  und Asylanträgen zu differenzieren.

Aber Lampedusa zeigt auch  die Verantwortlichkeit Italiens auf.

Italien hat keine klare Strategie  in Bezug auf Einwanderung oder Asyl

und behilft sich grundsätzlich  mit Notfallmaßnahmen.

Die auf Lampedusa  liegenden Schiffswracks

für dieses schändliche Verhalten  und Desinteresse.

auf die insbesondere mein Land  das Problem abgewälzt hat.

Man behandelt Lampedusa  wie eine riesige Schrotthalde.

Bleiben die Flüchtlinge,  die in Lampedusa landen, jetzt dort?

Das war vor allem  zwischen 2009 und 2011 der Fall.

die Lampedusa zum Identifizierungs-  und Ausweisungszentrum machte.

Alle dort eintreffenden Flüchtlinge  wurden vor Ort festgehalten

Sie haben ja gesehen,  unter welchen Bedingungen

die syrischen Familien  mit ihren Kindern dort leben.

Was kann gegen diese  skandalöse Situation getan werden,

Die Menschen steigen in diese Boote,  weil sie keine andere Wahl haben.

Sie sind sich bewusst,  dass sie dabei umkommen können.

Das zeigt, was in Lampedusa  seit Langem sichtbar ist:

dass man die Menschen  auf diese Weise nicht aufhalten kann.

Sie sind bereits Flüchtlinge,  bevor sie in die Boote steigen.

Sollte man die Asylanträge  also eher prüfen?

Ja, das müssen die Botschaften  in den Transitstaaten tun,

in den Ländern, die wie wir  das menschliche Leben wertschätzen.

Den Flüchtlingen wird  von Fischern und Touristen geholfen.

Könnte nicht die EU-Agentur  Frontex eingreifen,

oder wird sie von den Vorschriften  daran gehindert?

Frontex war noch nie die Lösung,  und das wird sich auch nicht ändern.

Der Grundsatz der Nichtzurückweisung ist  in ihrem Regelwerk nicht klar definiert.

Die wesentliche Aufgabe von Frontex  ist nicht die Rettung von Menschen,

Was sagen Sie gegenüber  den Regierungen

Deutschlands,  der Niederlande oder Dänemarks?

"Wir nehmen schon den Großteil der  bei uns Asyl suchenden Menschen auf."

Erstens: Nur wenige Flüchtlinge  kommen über Lampedusa in die EU.

Es sind zwar viele für  eine so kleine Insel wie Lampedusa,

sind EU-weit gesehen  ein Tropfen auf den heißen Stein.

Italien muss dazu gebracht werden,  seine Aufnahmeeinrichtungen

deutlich zu verbessern,  denn derzeit sind sie unzureichend.

Man darf nicht zulassen,  dass weiterhin Menschen ertrinken.